24. Dezember 1944: Neuenburg (Böhmen)

Mein Allerliebstes, meine lieben Kinder! Erstmal horchte ich vorhin auf, als es hieß: »Johannsen, Paket und Post abholen«. Ich also hin und nahm mein Paket in Empfang. Also Mutti … ein Glück, daß ich alleine beim Auspacken war. So viele schöne Sachen! Da kam heute, am Heiligen Abend der ,,Weihnachtsmann doch zu mir. Diese Marzipan-Sachen, die Zigarren, Zigaretten, Kuchen.

Liebe Anneliese, ich danke für die beiden kleinen Herzen, aber ich habe ein viel viel größeres. Ich könnte sonst nicht so viel Liebe abgeben. Nebenbei, mein Herz hatte einen Sprung, das Kuchenherz natürlich! Der kleine Tannenzweig ersetzt mir den Weihnachtsbaum. Nichts habe ich bekommen, keinen Tannenbaum, nicht mal ein paar Tannenzweige.

Wir stehen hier vor Prag, auf einem gr. Güterbahnhof, zwischen lauter Waggons. Das hat sich von uns keiner träumen lassen, so Weihnachten zu feiern …

Heute morgen wachte ich vor Kälte auf. Mein Feuer war mir ausgegangen. Die 4. Nacht nicht richtig geschlafen. Es war wohl der schwerste Transport, den ich je gehabt habe. Allein 6 Amputierte und die schweren Bauch- und Lungenschüsse …

Also, mein Feuer war aus und im Wagen hatte ich 13° unter Null, draußen waren 16° Kälte! Alle meine Blumen sind erfroren, meine schöne, große Zimmerlinde. Sie sollte doch mein Weihnachtsbaum sein. Alles hin, weinen möchte ich. Waren doch meine Blumen meine einzige Freude hier im Wagen. Mein Alpenveilchen stand in voller Blüte.

Wo wir Sylvester sind? Evtl. liegen wir noch hier. Unser Küchenwagen ist kaputt! Ich bin durch nichts mehr zu erschüttern …
Nervenschmerzen hast Du? Eine Überanstrengung ist es und zuviel im kalten Wasser gewesen!

Für heute Schluß. Ich bin froh, wenn der Abend erst vorbei ist.

Seid alle herzlich gegrüßt und innig geküßt von …

(siehe Gedicht »Verzagt«)

(siehe Gedicht »Ein Märchen im Traum«)