Vom Februar 1944 bis März 1945

Auszüge aus Briefen unseres Vaters, Johann Ingwer Johannsen, an seine Familie bzw. an seine Frau. Die Familie wurde im Juli 1943 in Hamburg ausgebombt.

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3. März 1944: Dessau

Leider konnte ich am Mittwoch nicht noch kommen. Wir sind um 21 Uhr abgefahren, nach Berlin. Heute haben wir die Berliner Bombenopfer eingeladen. Männer, Frauen und Kinder. Wir hatten hier heute Alarm. Es hat schwer über uns gerauscht, aber die Bomben fielen weiter ab von uns. Schön war es nicht, so auf offener Strecke zu liegen.

Wir fahren ins Sudetenland, Eger – Karlsbad – Marienbad – durch das Riesengebirge. Wir halten jetzt in Dessau. Ich habe in meinem Wagen nur Männer und einen Jungen von ca. 14 Jahren. Wenn wir unsere Fahrt hinter uns haben, geht es nach Neumünster in die Werkstatt und wir hoffen auf Urlaub. Ich freue mich sehr darauf … und bin sehr gespannt, ob bei unserem »Haus« schon angefangen worden ist. Ich glaube nichts mehr, leider. Aber auch dieser Krieg geht mal vorüber und dann auf nach unserem Altona …

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18. April 1944: Posen

Ihr Lieben!

Schwein muß der Mensch haben. Ich kam an, hinein in den Zug und ab. Dafür hatte ich aber den ganzen Tag wahnsinnige Kopfschmerzen. Unser Spieß hat den Zug nicht mehr bekommen, der kam erst in Pasevalk zu uns. Wir sind über Bad Oldesloe – Lübeck Stettin gefahren. Mir soll keiner etwas über die »kalte Emma« (EBO) sagen! Wenn die nicht so pünktlich gewesen wäre, hätte ich den Zug nicht erreicht. Wir fahren in den Nordabschnitt. – Eben haben wir einen kleinen Kameradschaftsabend mit Preisskat gehabt. Es war die 100ste Fahrt des Zuges. Jeder bekam eine halbe Flasche Cognac und 10 Zigaretten. Die Flasche sollte ausgetrunken werden! Aber da kennen sie mich ja schlecht. Ich habe 2 Schluck aus meiner Flasche getrunken. Die anderen waren langsam blau und ich habe markiert und bin dann mit meiner fast vollen Flasche in der Hosentasche, schwankenden Schrittes, in meinen Wagen gegangen …

Mein Liebes,
soeben bekomme ich deinen Brief vom 18. 03. 44. Das war auch alles … nichts mehr … Ein Brief in 14 Tagen, ein mageres Ergebnis. Keines von meinen lieben Kindern, die ihren Pa so lieb haben – wenn er da ist – hat Zeit für einen Brief. Ach, Ihr wißt ja nicht wie es ist, seit 14 Tagen ohne Nachricht. Keine Zeitung, kein Radio und die Menschen, die Verwundeten, ja, die haben ihr eigenes Leid. Und ich soll und muß helfen und gut zureden. Ich kann Euch sagen, der letzte Transport hatte es in sich. Trotz allem muß man sich wundern, wie tapfer sie ihre Leiden ertragen.

Du darfst nicht den Mut verlieren, was meinst Du, wie mir manchmal zumute ist …

Herzliche Grüße und 1000 K … , auch an meine 4 Faulpelze …

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20. April 1944: Bialystock

Soeben sind wir in Bialystock abgefahren. Der Zug fährt sehr langsam, wegen der Minen (Partisanen). Morgen früh sind wir wieder in Warschau. Man sieht hier viele Züge am Bahndamm liegen, die »hochgegangen« sind. Heute Morgen sah ich einen kaputtgeschossenen Panzer im Graben liegen. Auch kommen Flüchtlingszüge noch und noch, die lieber nach Deutschland wollen … wir fahren in den Bezirk Dresden … Ach, ich freue mich schon auf den Urlaub … 14 Tage ??? Ich muß sooft an meinen Garten denken, wenn ich sehe wie die Leute hier in den Gärten arbeiten. Meine Hyazinthe ist heute aufgebrochen … eine herrliche weiße Blüte … und ein Duft …

So, meine Lieben, ich bin sooo müde. Morgens um 4 Uhr hoch und jetzt ist es 2 Uhr. Ich glaube, da habe ich wohl mal Schlaf verdient.

Werden meine Kinderchen auch mal schreiben?

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25. April 1944: Siegersdorf

… schnell noch ein paar Zeilen. Wir waren auf der Fahrt in den Osten und mußten plötzlich in Siegersdorf halten, bleiben hier 2 – 3 Tage liegen. Wir halten mit unserem Zug direkt am Wald. Warum wir hier liegen, ist uns schleierhaft … wir wollten nach Lemberg.

Ich habe die Gelegenheit genutzt und habe mir im Wald Grünes gepflückt, Birken und Holunder. So ist auch bei mir im Wagen der Frühling eingezogen … meine schöne Hyazinthe dazwischen. Ich habe hier immer Kameraden zu Gast …

Ach, ich möchte so gerne bei Euch sein … wie schön muß es jetzt in unserem Garten sein.

Heute gab es hier im Zug eine kleine Gemeinschaftsfeier. Ohne Alkohol. Ein Kamerad hat das K.V.K. mit Schwertern bekommen.

Wir bekamen Bohnenkaffee und wunderbaren Kuchen. Ich habe 3 Stück Puffer und 3 Stück Streußelkuchen gegessen. Dazu sieben Tassen Bohnenkaffee!

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26. April 1944

Guten Morgen! Soeben kommen wir vom Exerzieren! Hat Spaß gemacht. Aber wenn Ihr noch einmal sagt, ich wäre alt! Obgleich ich im Zug (neben Rudow) der‘ Älteste bin, konnte ich allen in jeder Weise etwas vormachen. Wir haben einen Dauerlauf gemacht … zuletzt liefen nur noch der Spieß und ich … bis auch er aufgab!

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27. April 1944: Brieg

Seit 8 Stunden fahren wir jetzt schon wieder. Soeben kamen wir durch Breslau und hielten hier in Brieg. Ich habe Wache, bin U.v.D. vom Zug. Gerade fahren wir über die Oder. Ich sitze hier und schaue aus dem Fenster … eine unendliche Weite. Ein herrlicher Abend, rot geht die Sonne unter. Eben sah ich am Waldesrand – so 50 – 60 m vom Zug – ein Rudel Rehe.

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30. April 1944: Prag

Ihr Lieben!

Eine herrliche Fahrt durch Böhmen habe ich hinter mir. Wir liegen mit unserem Zug jetzt vor Prag und haben keine Einfahrt.

Die Fahrt von Krakau über Oderberg – Kollin, entlang des Oder – Donau – Kanals war einfach wunderschön. Mal stieg der Zug eine Höhe hinauf, dann wieder durch unzählige Tunnel, oder er schlängelt sich am Fuße des Gebirges hin (Mährische Hügel). Ich habe mir nicht träumen lassen, daß ich das alles noch einmal zu sehen bekomme. Die Eisenbahner und Polizisten sehen aus wie Operettenfiguren. Jetzt halten wir in Prag auf dem Hauptbahnhof. Die Stadt liegt wunderbar. Wenn ich aus dem Fenster sehe, liegt vor mir die Prager Burg. Ich habe schnell eine Aufnahme gemacht.

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1. Mai 1944: Straßburg

Jetzt bin ich ganz unten im Elsaß und von hier geht es auch wieder Richtung Osten. Wahrscheinlich Rumänien, also Südfront. Ja, ich bekomme sehr viel zu sehen, das Auge kann es fast nicht fassen. Die Fahrt durch Böhmen – Baden – Schwarzwald, war einfach nicht zu beschreiben. Wie schön wäre es, wenn Du bei mir wärest. Schade, daß es jetzt Nacht ist. Gleich fahren wir über den Rhein, aber der Mond scheint ja. …

Auf den Bahnhöfen bekamen wir Blumen über Blumen für unsere Verwundeten. Mein Tisch hier sieht aus wie ein Blumenladen:
Birken, Edeltanne, Buchenzweige und wunderschöner Flieder. Ihr müßt wissen, die Natur ist hier schon 3 Wochen weiter als bei uns. Alles steht hier in Blüte. Wenn ich es hier so sehe, bekomme ich Heimweh. … Mit meinem Urlaub von 8 Tagen ist es »Essig«, den gibt es nicht mehr. Wir müssen es dem Zufall überlassen, wann wir mal wieder nach Hamburg kommen. Sei man nicht traurig. Es genügt, wenn ich mich darüber ärgere. In einem Jahr ist der Krieg sowieso aus … Ach Mutti, dann gehört die ganze Welt nur uns beiden. Ich habe sehr oft fotografiert, u.a. auch die Burg »Weibertreu«, liegt bei Heilbronn.

So, mir fallen die Augen zu. Ich habe noch 14 Verwundete im Wagen, die morgen früh ausgeladen werden.

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4. Mai 1944: Wintersdorf/Baden

Du glaubst nicht, was das für eine Freude am Zug ist, wenn die Post kommt. Ich bekam 7 Briefe und 1 Karte! Hier ist das herrlichste Wetter. Wir stehen mit unserem Zug in einer wunderbaren Landschaft. Ein herrlicher Buchenwald links von mir, und rechts liegt der Schwarzwald. Wir stehen auf einem Abstellgleis auf freier Strecke.

Gestern Abend haben wir wohl eine Stunde gestanden und gelauscht! Vor meinem Wagen im Wald sangen 2 Nachtigallen, aber so herrlich, man kann es nicht beschreiben. Und heute Morgen um 5 Uhr sang sie schon wieder. Das habe ich nicht gedacht, daß ich mit Nachtigallen-Gesang geweckt würde. Soeben höre ich den Kuckuck rufen … es ist an allen Ecken und Enden ein Vogelgezwitscher …

Übrigens, das mit dem »Goldeimer« sehe ich nicht ein, warum Du allein. Die Kinder können auch gerne ihren eigenen Dreck … Daß Ihr Licht bekommen habt, ist ja ein Wunder. Wegen Tisch- und Handtücher will ich mal sehen. Es kann sein, daß wir noch 1-2 Tage in Straßburg bleiben.

(siehe Gedicht »Een Leed«)

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10. Mai 1944: Nürnberg

Wir fahren wieder. Heute Nachmittag um 2 Uhr sind wir aus Wintersdorf abgefahren: über Karlsruhe – Pforzheim – Schwäb.Hall. Wohin es geht, ist unbekannt.

Heute bin ich schon wieder 4 Wochen von Euch fort. Ach ja, nach Hause! Wie schön wäre es für immer, nur nicht nachdenken. Du auch nicht, mein Herz! Ich habe gehört, auf Hamburg waren Angriffe und auch auf Schleswig-Holstein! War es schlimm? …